Volkswagen realisiert eine globale Plattform für Financial Services mit AWS

Die Volkswagen Financial Services sind ein Geschäftsbereich der Volkswagen AG und betreiben und koordinieren die Finanzdienstleistungsaktivitäten des Konzerns. Dazu gehören unter anderem das Direct Banking, Fahrzeugfinanzierungen, Leasing, Versicherungen und weitere Mobilitätsservices. VWFS weist eine Bilanzsumme von mehr als 225 Milliarden Euro auf und ist international in 48 Märkten mit eigenen Tochtergesellschaften, Beteiligungen und Joint Ventures vertreten.

Im Jahr 2016 startete das Unternehmen ein groß angelegtes Digitalisierungsprogramm und setzte sich als Ziel bis 2025 sein gesamtes Angebotsspektrum digital abzubilden. Damit sollten Kunden die Möglichkeit bekommen, Leasing- und Finanzierungsverträge online abzuschließen sowie Service- und Ausstattungspakete zu buchen.

Zudem sollte das breite Angebotsportfolio von VWFS weltweit digital verfügbar werden. Für diesen Zweck ist der Managed Platform Service (MPS) auf Basis von AWS-Technologie kreiert worden. Die zentral verwaltete Cloud-Plattform gibt allen deutschen und internationalen Gesellschaften der Volkswagen Financial Services die Möglichkeit, schnell, sicher und richtlinienkonform eigene Produkte zu entwickeln und in den eigenen Märkten zu betreiben.

Schon die Größenordnung der Aufgabe war überwältigend. Bei 25 im Fokus stehenden Landesgesellschaften, vier Marken und jeweils acht Produktgattungen kommen mehr als 1.000 Produktvariationen zusammen. "Wir haben schnell gemerkt, dass das mit klassischen Methoden und vier Release-Zyklen pro Jahr in unserem Data Center nie funktionieren konnte", sagt Crispin Weißfuß, einer der beiden Product Owner des Managed Platform Service bei VWFS. Um Innovationen zu beschleunigen und die Vielfalt an wachsenden Anforderungen zu erfüllen, entschied sich VWFS für die Nutzung von Amazon Web Services.

Als Finanzdienstleister unterliegt VWFS strikten Regularien, die auch bei der Nutzung der Cloud eingehalten werden müssen. Mit Hilfe der MPS Plattform kann VWFS die strengen Anforderungen weltweit erfüllen. Sicherheit und Compliance ist dabei eine geteilte Verantwortung zwischen VWFS und AWS, die im AWS Shared Responsibility Model näher beschrieben wird. "Darin wird festgelegt, wofür AWS und wofür der Kunde zuständig ist", erklärt Weißfuß. "Beispielsweise ist AWS für die Datensicherheit auf einer strukturellen Ebene verantwortlich, während wir uns darum kümmern, dass die Plattform richtlinienkonform genutzt wird, indem zum Beispiel die Daten verschlüsselt abgespeichert werden."

Gemeinsam mit AWS hat das Team von VWFS seinen Managed Platform Service (MPS) aufgebaut. Als technische Basis diente dabei eine AWS Landing Zone. Deren Technologie ermöglicht die schnelle Einrichtung einer sicheren, mandantenfähigen AWS-Umgebung, basierend auf bewährten AWS-Methoden. Diese Basisumgebung bietet allen Landesgesellschaften der VWFS eine Architektur, in der Identitäts- und Zugriffsmanagement, Governance, Datensicherheit, Netzwerkgestaltung und Protokollierung einheitlich für alle bereitstehen. Auch außerhalb des Finanzsektors werden AWS Landing Zones von zahlreichen internationalen Unternehmen genutzt, um einheitliche Infrastrukturen aufzubauen.

MPS ist außerdem mit einem Sicherheits- und Compliance-Framework ausgestattet, das die Einhaltung mehrerer regulatorischer Richtlinien für Finanzdienstleister gewährleistet. Dazu gehören der Payment Card Industry Data Security Standard (PCI DSS) sowie die Cloud Controls Matrix der Cloud Security Alliance (CSA CCM). In der Zusammenarbeit mit den Landesgesellschaften wendet das MPS-Team ebenfalls ein Shared Responsibility-Modell an. "Wir definieren, wofür die Niederlassungen und wofür wir zuständig sind", erklärt Stefan Klünker, Co-Product Owner des MPS. Die Compliance ist dabei dank detailreicher Audit-Logs immer nachvollziehbar. "Wir sind jederzeit in der Lage zu sagen, wie der Compliance-Status eines Service zu jedem beliebigen Zeitpunkt gewesen ist, auch bei den Services unserer Mandanten. Das macht Audits sehr einfach."

VWFS entschied sich für AWS aufgrund der ausgereiften und zertifizierten Compliance-Features, der vielfachen Gestaltungsmöglichkeiten der Plattform sowie der internationalen Präsenz, die die Verfügbarkeit der Produkte in zahlreichen lokalen Märkten gewährleisten. Besonders ausschlaggebend waren die technischen Features, die eine schnelle Time-to-Market ermöglichen. "Skalierbarkeit sollte sich nicht nur auf die Ressourcen beziehen, sondern auch auf die Prozesskapazität, damit wir in schneller Folge mehr als 1.000 Produkte auf den Markt bringen können", erklärt Crispin Weißfuß. "Das haben wir dank Infrastructure as Code. Damit können wir sehr einfach neue Computing-Ressourcen provisionieren."

Auch die Möglichkeit für Serverless Computing war ein großer technischer Faktor. "Mit Serverless können wir Anwendungen betreiben, ohne dass wir uns groß Gedanken über die darunterlegende Infrastruktur machen müssen", sagt Stefan Klünker. "Wir definieren lediglich die Anforderungen der Anwendung, bringen unseren Code in AWS Lambda ein und AWS kümmert sich darum, dass die Funktionalität für uns verfügbar ist. Das setzt personelle Ressourcen bei uns und bei den Landesgesellschaften frei, die sich dann mit der Entwicklung neuer Produkte beschäftigen können, und wir als IT-Organisation können schneller Mehrwert fürs Business liefern."

Realisiert wurde das Projekt mit reger Beteiligung des Teams von AWS Professional Services. Zahlreiche AWS-Experten, darunter AWS Account Manager, Solutions Architects und Technical Account Manager standen mit Rat und Tat bereit während des gesamten Entstehungsprozesses von MPS – und das tun sie nach wie vor. "AWS kümmert sich darum, dass wir immer ein Maturity-Level erreichen, mit dem wir glücklich sein können", sagt Stefan Klünker.

Der Managed Platform Service hat sich inzwischen in vielfacher Hinsicht bewährt. "MPS ist als Nebenprodukt unseres Digital Program entstanden durch die Anforderung, die 1.000 digitalen Produkte bereitzustellen. Inzwischen ist er eines der Vorzeigeprodukte bei Volkswagen Financial Services", sagt Stefan Klünker. Und MPS erfreut sich großer Popularität. "Wir sehen, dass immer mehr Produkte in Betrieb genommen werden. Die Plattform wächst um ca. 5 Prozent im Monat. Das ist mehr, als wir je zu hoffen wagten."

Aus Sicht der Landesgesellschaften wurden durch MPS die Voraussetzungen geschaffen, um in den eigenen Märkten lokale Angebote schneller einzuführen. Sie können sich nun auf die Produktentwicklung konzentrieren, statt sich mit Rahmenbedingungen wie Computing-Ressourcen, Identity Management, Security oder Compliance zu beschäftigen. "Angesichts der Tatsache, dass wir eine international sehr verzweigte Organisation sind, ist es jetzt dank AWS Organizations super einfach, überall die gleichen Policies, Rollen, Berechtigungen etc. für alle Niederlassungen auszurollen, und sie haben jede für sich eine eigene, abgetrennte Umgebung zur Verfügung", sagt Crispin Weißfuß.

Vor allem für die kleineren Niederlassungen bedeutet der MPS viel mehr Autonomie und Gestaltungsspielraum – mit allen positiven Nebeneffekten, die damit einhergehen, zum Beispiel in Sachen Kostenkontrolle und Kostentransparenz. So können sie jederzeit einsehen, wie hoch ihre Infrastrukturkosten sind und selbst entscheiden, wo sie Kosten einsparen können, vor allem beim Betrieb. Eine der ersten Maßnahmen war beispielsweise, die Server-Kosten für die Entwicklungsserver am Wochenende einzusparen, indem sie sie einfach nicht Anspruch nehmen.

Das trifft natürlich nicht für die Landesgesellschaften, sondern für die gesamte MPS-Einheit zu. "Wir sind jetzt als Entwicklungsteam für die komplette vertikale Infrastruktur verantwortlich und können autonom handeln", sagt Weißfuß. "Wir können selbst Abhängigkeiten reduzieren und viel schneller Produkte liefern. Das bringt natürlich mit sich, dass wir Mitarbeiter mit entsprechender Expertise in den einzelnen Bereichen haben müssen, aber unterm Strich können wir dadurch viel schnellere Time-to-Market-Anforderungen erfüllen."

Auch können die Landesgesellschaften schneller und unabhängiger von der Zentrale agieren, weil sie für die eigene IT alle Fäden in der Hand haben. Vor dem Entwickeln eines neuen Produkts müssen sie nicht mehr zuvor etwaige Abhängigkeiten mit den Datenbank-, Netzwerk- oder Infrastruktur-Teams in Braunschweig klären. "Sie können ihre eigenen DevOps-Strukturen pflegen und schneller auf Geschäftsanforderungen reagieren, zugleich aber einen hohen Grad an Standardisierung und Compliance erfüllen", sagt Crispin Weißfuß.

Die Vorteile dieser Arbeitsweise drücken sich vor allem im Tempo der Produktentwicklung aus. "Um eine neue Antragsstrecke für einen Leasing-Vertrag zu bauen, brauchten wir früher drei bis sechs Monate. Durch die Standardisierung sind wir jetzt runter auf vier Wochen", sagt Stefan Klünker. Ähnliche Erfahrungen würden auch die Landesgesellschaften machen. "Sobald sie die ersten zwei-drei Produkte gebaut haben, können sie viel schneller ein weiteres bauen, weil die Entwickler vor Ort sich mit den Tools und Methoden vertraut gemacht haben."

Die Bandbreite des MPS hat sich währenddessen um einiges erweitert. Hinzugekommen ist inzwischen eine Data Analytics Unit sowie Customer Relationship Management in Form von Salesforce mit Datenspeicherung auf AWS. "Unser Ziel ist, noch mehr Anwendungen auf AWS zu holen", sagt Stefan Klünker. Vor allem aber würde er am liebsten gemeinsam mit der zentralen IT noch größere Cloud-Projekte angehen, natürlich auf AWS.